Die vom SNBS Hochbau mitorganisierte Veranstaltung «Welche Architektur braucht es für Netto-Null» zeigte, wie herausfordernd das Thema für die Schweizer Bauwirtschaft ist. Worauf sollen Architektinnen und Architekten in der Planung und beim Betrieb von Gebäuden achten, um Netto-Null zu erreichen? Braucht es mehr Innenentwicklung und Verdichtung? Ist das Bauen mit Labels der Schlüssel? Sechs Fachleute präsentierten verschiedene Lösungsansätze.
Darum geht es bei Netto-Null
Im ersten Referat bot Andrea Klinge von der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW einen Überblick zur Frage, worum es bei Netto-Null überhaupt geht. Sie zeigte, dass der Bausektor viele graue Treibhausgasemissionen verursacht und im Betrieb weitere Emissionen dazukommen. Klinge forderte, den Fokus auf die Sanierung der Bestandesbauten zu legen: «Europaweit liege die Sanierungsrate bei unter 1 Prozent – so erreichen wir Netto-Null viel zu spät.» Klinge schlug vor, vermehrt kreislaufgerecht zu planen, um die graue Energie zu reduzieren. Zudem solle man CO2-intensive Materialien möglichst gezielt nur dort einsetzen, wo keine Substitution möglich ist. Und sie plädierte dafür, Gebäude wenn immer möglich zu sanieren statt abzureissen.
Netto-Null bis 2030?
Mit dem Architekten Jakob Schneider betrat als zweiter Referent ein Mitglied von «Countdown 2030» das Podium. Diese Vereinigung setzt sich dafür ein, noch in dieser Dekade Massnahmen gegen den Klimawandel entschlossen umzusetzen. Dazu hat Countdown 2030 sogenannte Hebel-Postkarten entworfen. «Sie geben einen kompakten Überblick zu den wirkungsvollsten Massnahmen für nachhaltiges Bauen», erklärte Schneider. Daneben forderte er neue Rahmenbedingungen in verschiedenen Bereichen, um die Emissionen im Bausektor zu reduzieren – eine hohe Baukultur zum Beispiel, denn schöne Bauwerke würden länger bestehen. Wichtig wäre gemäss Schneider auch eine Reduktion des Flächenbedarfs pro Person, der aktuell in der Schweiz bei 46 Quadratmetern liegt.
Das Haus ohne Heizung
Wenn ein Gebäude keine Energie fürs Heizen benötigt, trägt dies wesentlich zur Emissionsreduktion bei. Gelungen ist dies dem Architekten Heinrich Degelo gemeinsam mit der Genossenschaft «Homebase». Sie haben in Basel das sogenannte «Haus ohne Heizung» realisiert, das dank dicker Aussenwände genug thermische Speichermasse hat, um auf eine Heizung verzichten zu können. «Der solare Eintrag sowie die Abwärme der Nutzenden und der elektronischen Geräte sorgen dafür, dass es auch im Winter stets mindestens 20 Grad Celsius warm ist», erläuterte Degelo das Konzept. Das Gebäude erreicht so punkto Heizenergie Netto-Null, allerdings nicht in Bezug auf die graue Energie, weil Beton als Speichermasse genutzt wird.
Mehr mit Holz bauen
Einen weiteren Ansatz, wie Netto-Null im Bausektor erreicht werden kann, lieferte Hansueli Schmid. Der Projektleiter des Branchenverbands Lignum forderte, kritischer über den Einsatz von emissionsintensiven Materialien wie Beton nachzudenken und stattdessen stärker auf Holz zu setzen. Die erneuerbare Ressource sei per se zirkulär. «Allerdings wird Holz heute zu oft nur verbrannt statt als Baustoff genutzt.» Schmid zufolge wäre es sinnvoller, Holz möglichst lange stofflich zu nutzen und erst dann thermisch zu verwerten, wenn es nicht mehr gebraucht werden kann. Eine Hilfestellung für Architektinnen und Architekten können Algorithmen sein. Lignum hat zusammen mit der Fachhochschule Nordwestschweiz Tools entwickelt, die auswerten können, wie das Verhältnis zwischen erneuerbaren und nicht-erneuerbaren Materialien bei einem Bauprojekt ist.
Was tragen Label bei?
Gemäss Andreas Meyer Primavesi, dem Geschäftsleiter von Minergie und GEAK, bieten Labels und Standards punkto Netto-Null vor allem Orientierung. «In der Schweiz werden jedes Jahr etwa 25 000 Gebäude nach einem Label gebaut. Die Bauherrschaften vertrauen darauf, dass sie es damit richtig machen.» Mit einem Label gebaute Gebäude seien zudem gute Beispiele mit Vorbildcharakter für andere Projekte. Meyer Primavesi sprach sich dafür aus, sowohl auf die Erstellung als auch auf den Betrieb zu achten, weil überall möglichst viele Emissionen eingespart werden müssten. Es sei aber auch klar, dass dies teilweise zu Zielkonflikten führe.
Photovoltaik integrieren
Das abschliessende Referat hielt Jürg Dietrich, Verantwortlicher Klima und Energie beim Schweizerischen Ingenieurs- und Architektenverein (SIA). Angesichts der 900 000 fossilen Heizungen, die in der Schweiz ersetzt werden müssen, forderte er eine konsequente Ausrichtung auf Photovoltaik. «Solarmodule müssen bei Bauprojekten zum Standard werden, und Architektinnen und Architekten sind gefordert, die Photovoltaik in ihre Konzepte zu integrieren.» Gleichzeitig müssten die Fachleute kreativ mit dem Bestand umgehen und bestehende Bauten wenn immer möglich weiternutzen. Dietrich plädierte zudem für ein höheres Bewusstsein bezüglich der grauen Emissionen – diese seien bisher stiefmütterlich behandelt und zu wenig wahrgenommen worden.
Präsentation
Worum geht es bei Netto-Null?
Andrea Klinge, INEB